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Regisseur­Glamour

Thomas Haemmerli am 27. Mai 2007 am 07:39 Uhr

Noch eine Dame, die mir interessiert in den Schritt kuckt. Und sich gleichgültig abwendet. Was einer wert ist, entscheidet sich unterhalb des Bauchnabels. Jedenfalls am Dok-Filmfestival Toronto. Da baumelt, zumal wenn man so klein gewachsen ist wie ich, das Täfelchen mit den «Credentials». Das ent­scheidet über Wohl und Wehe an Cocktails, es entscheidet, ob man für Konversation in Frage kommt oder bloss ein humanoides Hindernis ist, das unnützerweise den knap­pen Raum verstellt.
Das Kärtchen entscheidet, ob «gepitcht» wird oder nicht. «Pitchen» meint forciertes Verkaufen und Anpreisen eines Films oder Projektes.
Steht auf dem Schild «Direc­tor » bzw. Regisseur wie bei mir, dann gehört man zu den Aussätzigen. Zu den armen Schluckern, die selber pitchen wollen und deshalb ständig Ausschau halten nach Pro-d­uktionsgesellschaftsall-mächtigen, Jurymitgliedern und Televisionsredaktoren mit Budgetverantwortung.
Nur selten begegnen einem Irre, die blind alles und jeden anfallen. Das geht so: «Hi, ich bin Jennifer. Und ich habe dieses Projekt, bei dem geht es darum…». Dann sage ich: «Jen-Honey, ich bin Rausch­alkoholiker, deshalb muss ich ganz dringend an die Bar!»
Am anderen Ende der Hierarchie stehen Personen, die so wichtig sind, dass sie ihr Kärtchen gar nicht brau­chen. König der Könige ist Nick Fraser, der bei der BBC bestimmt. Und wenn der zynische, kruppstahlharte Fraser kauft, hat man es in der anglophonen Welt geschafft. («I did this Movie with Nick!») Deshalb er­scheint Fraser stets in Be­gleitung einer Schlange, in der Würmer für eine Audienz anstehen. Wurm Haemmerli kriegt 30 Sekunden und den Bescheid, er solle seinen Streifen doch ans BBC-Sek­retariat senden. Next! Wurm Haemmerli möchte darauf hinweisen, dass schon alleine das Torontofestival weit über 2000 ungefragte Filme erhal­te, im Sekretariat von Hoch­wohlgeboren müssten also NEXT!
Fraser wird gar beim Pin­keln gepitcht. «Es mag nicht der richtige Moment sein, aber – mein Name ist übrigens Paul – ich bewundere ihre Arbeit sehr, die mich inspi­riert hat zum Projekt ‹Mun­keln in Furunkeln›…» Fraser schüttelt die letzten Tropfen von Paul ins Urinoir und drückt die Spülung. All der Mut, der Enthusiasmus, die Liebe und Hoffnung, die Paul in diese Begegnung gesteckt hatte: dahin. Auf immer ver­loren. Verdorrt. Schlaff hängt Pauls Regisseurskärtchen in seinem Schritt.

Kolumne aus der SonntagsZeitung

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