Thomas Haemmerli trug schon eine Kamera auf sich, als wir uns 1994 auf der »10vor10«-Redaktion kennenlernten. Diese zog er jeweils aus der Tasche, wenn eine Diskussion, ein Bild oder eine Szene seine Fantasie anregten. Als er am 8. März 2004 den verhängnisvollen Anruf der Zürcher Kripo entgegennahm und einige der aufwühlendsten Wochen in seinem Leben begannen, hat Haemmerli genau gleich reagiert. Er hat die Kamera ausgepackt und zu drehen begonnen.
Haemmerlis oft experimentellen, zuweilen auch kuriosen Fernsehreportagen waren mir in bester Erinnerung geblieben. Im Sommer 2005 erzählte er mir bei einem Brainstorming für mögliche gemeinsame Projekte am Rande auch vom Tod seiner Mutter. Und von rund 30 Stunden DV-Material das seit der Räumung der Horrorwohnung ungesehen in seinem Büchergestell lag. Die Geschichte wühlte mich auf und hat mich seither nicht mehr losgelassen.
Ungewöhnliche ist die Geschichte nicht, weil sie sich ereignet hat, sondern weil sie dokumentiert ist.
Weil Haemmerli dort weiterdrehte, wo wir alle lieber die Augen schliessen — vor allem, wenn unsere eigene Familie tangiert ist. Er zwingt uns damit zur Auseinandersetzung mit dem unerfüllten Wunsch nach heiler Welt und einem der letzten Tabus unserer Gesellschaft, dem Tod.
Haemmerli dachte anfangs, dass sich aus dem gedrehten Material ein Kurzfilm machen liesse, »den wir vielleicht mal den Freunden zeigen könnten«. Aber bald schon wurde klar, dass dieser Film auf weit grösseres Interesse stiess. Die Fernsehstationen und Kulturstiftungen reagierten fast ausnahmslos positiv, und nie zuvor hatte ich ein Projekt schneller finanziert. Was mich aber am meisten bestärkte, waren die persönlichen Reaktionen unserer Partner, Co-Produzenten und Förderer. Jedem Pitch — und ich habe das Projekt sehr oft gepitcht — folgte eine lange Diskussion, die sich oft zu einem persönlichen Gespräch über eigene Erlebnisse, Anekdoten und manchmal auch Ängste ausweitete.
Diese Nachhaltigkeit ist das Herausragende des Films. Dadurch, dass die Brüder Haemmerli ehrlich, mit Humor und ohne falsche Hemmungen darüber erzählen, was ihnen passierte, schaffen sie eine Gesprächsbasis, auf der sich plötzlich heikle Themen zu Hause und in unseren Familien diskutieren lassen.
Es ist ein Film, der die grossen Fragen nach dem Leben und seinem Sinn, nach dem Verhältnis von Eltern und Kindern und den Fährnissen der heutigen Konsumgesellschaft anspricht, ohne sentimental oder moralisierend zu wirken.
Haemmerli umschifft die drohende Gefahr einer peinlichen Selbstverständigungsarbeit und schafft stattdessen einen intelligenten, innovativen und anregenden Film für ein Publikum, das sich den grossen Fragen des Lebens stellen mag. Entstanden ist dabei ein Familienfilm für Erwachsene.
Mirjam von Arx, ican films gmbh
Zürich, 25. Februar 2007