Ich hatte viele Leute für meinen vierzigsten Geburtstag eingeladen, als mich die Nachricht vom Tod meiner Mutter erreichte. Wir hatten nur wenig Kontakt, und ich war schockiert, als ich ihre Wohnung sah. Es war das totale Chaos. Weil ihr Leichnam auf einer Bodenheizung gelegen hatte, hing Verwesungsgeruch in der Luft. Schon beim ersten Betreten der Wohnung schaltete ich meine Kamera ein.
Ich bin ein Medienprofi und reagiere automatisch, wenn ich etwas Aussergewöhnliches sehe. Der professionelle Zugang half mir, Distanz zu halten.
Mein Bruder und ich hatten geahnt, dass die Wohnung eher chaotisch wäre, was wir aber antrafen, überstieg unsere schlimmsten Befürchtungen. Wie die meisten Messies setzte unsere Mutter Himmel und Hölle in Bewegung, um nie jemanden in ihre vier Wände zu lassen. Während einem Monat räumten wir die Wohnung auf und arbeiteten uns durch die Materialberge. Wir fanden viele Zeugnisse aus der Familiengeschichte: Fotos, die bis in die 1880er Jahre zurückreichen. Filmmaterial aus den 30ern und 40ern, und alles, was meine Mutter ab den 60ern gedreht hatte. Das ungewöhnliche Material war der Ausgangspunkt für den Film: gegen siebzig Jahre Familiengeschichte. Und die Möglichkeit, in der Wohnung zu drehen, ohne dass Angehörige ein Veto einlegen.
Thematisch war mein Ausgangspunkt die Zumutung, einen Monat meines Lebens damit verbringen zu müssen, diese vermüllte Wohnung aufzuräumen. Deshalb ist die Geschichte auch aus meinem Blickwinkel erzählt. Beim Räumen suchte ich nach Hinweisen, was bei meiner Mutter schief gegangen sein mochte. Dabei beschränkte ich mich auf das Material in der Wohnung.
Daraus haben sich zwei Handlungsstränge ergeben.
- Der Kampf gegen das Chaos, bei dem die Wohnung zunehmend leerer und sauberer wird.
- Die Geschichte der Familie, die immer chaotischer wird.
Ich verabscheue hochsensible Selbstfindungen. Man soll einen Film machen, wenn man jemandem eine Geschichte erzählen will, nicht um sich zu spüren.
Der Monat in der Wohnung und das anschliessende Abenteuer mit den vierzig Katzen in Griechenland haben sich bei mir im Laufe der Zeit in eine Folge von Anekdoten verwandelt, die ich zuweilen an fortgeschrittenen Abendgesellschaften zum Besten gab. Ich war immer der Auffassung, dass die Geschichten, die man an einem lustigen Abend erzählt, auch die sind, die man einem weiteren Publikum erzählen sollte. Das ist ein Grund, warum der Film mit Humor arbeitet. Humor, Ironie und Spott sind für mich ganz generell unabdingbar, um die Zumutungen des Lebens meistern zu können. Ich kann nicht ohne, und das prägt meinen Film.
Formal trägt der Film die Handschrift meines Cutters Daniel Cherbuin, mit dem ich seit vielen Jahren zusammenarbeite und mit dem mich eine Vorliebe für schnelles, oft auch intuitives Erzählen sowie der Wille, nie zu langweilen, verbindet. Am Schnittplatz hat mich Cherbuin bestärkt, die ganze Familiengeschichte auszupacken und nichts unter den Tisch zu wischen. Dabei ging es nicht nur darum, dass Ehrlichkeit der Film interessanter machen würde. Sondern um meine Überzeugung, dass es zuweilen radikale Offenheit braucht, wenn man sich adäquat ins Verhältnis setzen will, zu grossen Themen wie dem Tod, der Beziehung zwischen Kindern und Eltern oder der Frage, wie man leben soll und was ausgangs bleibt.
Thomas Haemmerli
Zürich, 22. Februar 2007